Einsteinfeier
2005 - Verleihung der Einsteinmedaille
Am
9. Juli 2005 fand im Casino der eigentliche Festakt im Rahmen des Einsteinjahres
statt. Der Festakt bot einem öffentlichen Publikum und geladenen
Gästen aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur ein festliches
Programm mit Reden und musikalischen Delikatessen. Der Anlass wurde von
Bundespräsident Samuel Schmid eröffnet, unter dessen Patronat
die Feierlichkeiten der Institutionen für Bildung und Wissenschaft
standen.
Ein Höhepunkt
des Festakts war die Verleihung der Einsteinmedaille an den Nobelpreisträger
Murray Gell-Mann. In seiner Rede verknüpfte er das sogenannte „Creative
Thinking“ – das zentrale Thema in seinem Institut in Santa
Fe – mit Einsteins intuitiven Ideen, durch die die Physik anfang
letzten Jahrhunderts entscheidend weitergebracht wurde. Gell-Mann findet,
dass diese Art des Denkens – welche er in launiger Art mit dem Satz
„Why not?“ umschrieb - immer noch und immer wieder ein guter
Ansatz ist, um in Wissenschaft, Politik, Wirtschaft u.s.w. weiterzukommen.
Ueber die Grenzen hinauszudenken sei, so zeigte er an zahlreichen Beispielen,
nicht nur beim jungen Einstein und nicht nur in der Physik entscheidend
gewesen. In Bezug auf die Relativitätstheorie bestand Einsteins „Why
not?“ darin, dass er die für die Elektrodynamik vorgesehenen
Lorentztransformationen auf die „artfremde“ Mechanik, ja auf
die gesamte Physik anwendete.
“WHY NOT is a good reason!“
Auch der
Referent selber wagte in den Fünfziger Jahren, die Idee eines zusammengesetzten
Protons weiterzuverfolgen; wie sich zeigte, mit Erfolg: an der Existenz
der Quarks zweifelt heute niemand mehr!
Dem grossen Physiker unserer Zeit merkte man sein grosses Engagement für
kreatives Denken an und dankte es ihm mit grossem Applaus. Der humorvolle,
über siebzig Jahre alte Professor, bewaffnet mit einem Stoss selbstgeschriebener
Folien, verstand es in seinem Auftritt vor den etwa tausend Zuhörern,
sowohl die anwesenden Physiker als auch die Politiker und Kulturinteressierten
gleichermassen anzusprechen.

Peter Fricker überreicht die Einsteinmedaille
Der Präsident
der Albert Einstein Gesellschaft, Peter Fricker durfte im Anschluss dem
sichtlich gerührten Laureaten die Einsteinmedaille und die Laudatio
überreichen, die für einmal im vollen Wortlaut abgedruckt werden
soll:
Die Albert EinsteinGesellschaft verleiht an der gemeinsamen Feier im Rahmen
des Internationalen Festtags im Einstein-Jahr 2005 am 9.Juli im Kultur-Casino
Bern die Einsteinmedaille an
Murray Gell-Mann
für seine wegweisenden
Beiträge zur Erforschung der Struktur und der fundamentalen Wechselwirkungen
der Elementarteilchen oder elementarer Quantenfelder im weitesten Sinn.
Darüber hinaus ehren wir den Laureaten für sein integrales Wirken
als Forscher und Lehrer innerhalb und auch weit ausserhalb der Physik.
Dieses umfasst die Sorge zur Erhaltung der Tropenwälder, das Studium
der Vogelarten, die Suche nach den Ursprüngen der Sprachen ebenso
wie seinen Einsatz für die Verständigung unter den Völkern.
Der Präsident
Für das wissenschaftliche Kuratorium
P. Fricker P. Minkowski

v.ln.r:Murray Gell-Mann, Peter Minkowski, Bundespräsident Schmid
Hansjörg Friedli
Vorstellung
des Laureaten
Murray Gell-Mann wurde am 15. September 1929 in New York City geboren.
Er heiratete 1955 die Archäologin J. Margaret Dow. Von dieser aus
England stammenden ersten Frau hat er zwei Kinder: Elizabeth Sarah, geboren
1956, und Nicholas Webster, der 1963 auf die Welt kam. Margaret starb
1981. Murray Gell-Mann verheiratete sich 1992 mit Marcia Southwick, von
der er kürzlich geschieden wurde. Er lebt heute in Santa Fe, New
Mexico.
Gell-Mann ist ein vielseitig interessierter Mensch. Die Beschäftigung
mit Ornithologie, Geschichte, historischer Linguistik, Archäologie
oder kreativem Denken fliesst denn auch in seine gegenwärtigen Studien
über die Theorie der komplexen adaptiven Systeme ein. Komplexe adaptive
Systeme (zB Volksstämme, das menschliche Immunsystem, Wirtschaftssysteme)
zeichnen sich durch Lern- und Anpassungsfähigkeit aus und folgen
allgemeinen Funktionsprinzipien, obwohl sie sich in ihrer konkreten Ausprägung
erheblich unterscheiden können. Gell-Mann läßt offen,
ob die Entstehung stets komplexerer Systeme ein der Evolution innewohnender
Prozess oder Zufall ist. Interessant ist für ihn auch die Frage,
bis zu welchem Grad Wissen und Verstehen aus der Fülle an Information,
die heute durch Computer und Internet verfügbar ist, ableitbar sind.
In seinem Buch "Das Quark und der Jaguar" wird deutlich, wie
Gell-Mann die Teilchenphysik mit biologischer und kultureller Evolution,
natürlicher Auslese, Artenvielfalt, dem menschlichen Immunsystem,
dem Erlernen einer Sprache oder der Weltwirtschaft in Einklang bringen
will.
Im Jahr 1944 begann Murray Gell-Mann - erst 15-jährig - das Physikstudium
an der Yale University, welches er 1948 mit dem B.S.-Degree abschloss.
Nachdem er bei Enrico Fermi an der Universität von Chicago gearbeitet
hatte, wechselte er zum Massachusetts Institute of Technology. Im Januar
1951 promovierte er dort bereits zum Doktor der Physik. Gell-Mann lieferte
in der ersten Hälfte der Fünfzigerjahre die Begründung
für die „Strangeness“- Quantenzahl. Danach, mittlerweile
bereits Professor am California Institute of Technology, wandte er sich
einerseits der Theorie der schwachen Wechselwirkung zu, andererseits der
Quantenchromodynamik, welche die starke Wechselwirkung zwischen den Quarks
und ihren Eichbosonen beschreibt. Professor Gell-Mann verliess das Cal-Tech
1993 und zog danach nach Santa Fe, New Mexico. Er ist Mitbegründer
des Santa Fe Institutes, welches sich als wissenschaftlichen „Think-Tank“
– mit speziellem Interesse an komplexen adaptiven Systemem –
versteht.
1969 erhielt Murray Gell-Mann den Nobelpreis in Physik "für
seine Beiträge und Entdeckungen betreffend der Klassifizierung der
Elementarteilchen und deren Wechselwirkungen". Dies umschreibt treffend,
was Gell-Mann auf dem Gebiet der Teilchenphysik geleistet hat. In den
Fünfziger Jahren wurden nämlich laufend neue Teilchen entdeckt,
eine Entwicklung, die bis in die Siebziger Jahre anhielt und zum Begriff
des sogenannten Teilchenzoos führte. Um die Eigenschaften solcher
meist kurzlebigen, den Protonen und Neutronen ähnlichen Teilchen
zu beschreiben, führten die Physiker neue „Etiketten“,
genauer gesagt, Quantenzahlen ein, um Ordnung in die über hundert
Teilchensorten zu bringen. Murray Gell-Mann war in dieser Beziehung ein
Pionier. Auf ihn geht die Quantenzahl „Strangeness“ zurück,
die er bereits 1953 - unabhängig von Katsuhiko Nishijima –
forderte, um die seltsam grosse Lebensdauer von Kaonen und Hyperonen zu
beschreiben. Ein weiterer Fortschritt im Bemühen um ein Klassifizierungsschema
für Elementarteilchen war das Oktettmodell (Achtfacher-Weg, in Anlehnung
an die buddhistische Lehre), das Gell-Mann zusammen mit Yuval Ne'eman
1961 der Physikergemeinde vorstellte. Das Modell erlaubte es, sämtliche
Hadronen in Familien mit acht oder zehn Mitgliedern einzuteilen. In dieser
im mathematischen, abstrakten Sinne symmetrischen Anordnung fanden auch
das Proton und das Neutron ihren Platz. Die Erklärung lieferte Murray
Gell-Mann unabhängig von George Zweig 1964: Das Oktettmodell lässt
sich am besten verstehen, wenn man sich die Hadronen aus drei, die Mesonen
aus zwei noch grundlegenderen Elementarteilchen aufgebaut denkt. Diese
„Sub-Sub-Atomteilchen“ nannte Gell-Mann Quarks, in humoristischer
Art auf den Roman Finnegan's Wake von James Joyce verweisend, in dem der
Satz steht: "Three quarks for Muster Mark!" Heute zweifelt niemand
mehr an der Existenz der Quarks; der erste experimentelle Hinweis für
die Substruktur von Hadronen kam bereits 1974. Die up-, down-, strange-,
charmed-, bottom- und top-Quarks tragen elektrische Ladungen mit Werten,
die ein Drittel oder zwei Drittel der Einheitsladung betragen. Damit sind
Hadronen, die aus drei Quarks bestehen, entweder einfach geladen (wie
das Proton), zweifach geladen oder neutral (wie das Neutron).
Jedes Quark besitzt zusätzlich eine sogenannte Farbladung. Diese
Farbladungen sind verantwortlich für die zwischen den Quarks wirkende
starke Wechselwirkung und sind vergleichbar mit den elektrischen Ladungen,
die sich gegenseitig an- oder abstossen können. Die Verhältnisse
sind allerdings verwickelter als bei der elektrischen Wechselwirkung.
Während diese durch den Austausch virtueller Photonen beschrieben
werden kann, tauschen die Quarks gemäss ihrer jeweiligen Farbladung
Gluonen aus, die selber auch eine Farbladung besitzen. Von den Gluonen
gibt es wiederum acht Sorten, was die möglichen Kombinationen und
Regeln, ob denn nun eine Quarkverbindung erlaubt ist oder nicht, zusätzlich
erhöht. Aehnlich wie die Chemie erklärt, welche Atome sich zu
welchen Molekülen verbinden können, oder die Kernphysik sagt,
welche Kerne sich aus wievielen Protonen und Neutronen stabil aufbauen
lassen, beschreibt die Quanten-Chromodynamik den Zusammenhalt von aus
Quarks bestehenden Baryonen und Mesonen sowie die Kernkraft zwischen Nukleonen.
Murray Gell-Mann, der an der Entwicklung der Quanten-Chromodynamik massgeblich
beteiligt war, ist wohl einer der wichtigsten theoretischen Physiker des
zwanzigsten Jahrhunderts.
Hansjörg
Friedli
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